DEUTSCHE KÜNSTLER SEHEN ITALIEN II
Dr. Rainer Grimm
Liebe Italienfreundinnen und –freunde….
…..im letzten Brief ging es ja um Dürer – er steht aus meiner Sicht exemplarisch dafür, warum Künstler im 16. Jahrhundert nach Italien reisten. Sie wollten für ihre Arbeit zuhause interessante Motive suchen und gleichzeitig schauen, wie die wichtigsten Künstler in Italien arbeiteten. Natürlich wären noch eine Reihe anderer Künstler zu nennen – so etwa Pieter Brueghel der Ältere, der zwischen 1552 und 55 in Italien lebte. Aber auch er fuhr danach mit seinen Skizzen, die er vor Ort gemacht hatte, nach Hause und arbeitete dort weiter.
Nun kommt ein großer Sprung ins 18. Jahrhundert. Da hat sich in der Tat etwas grundlegend im Italienbild verändert. Um das zu verdeutlichen, habe ich mir zwei Italienreisende ausgesucht, die zwar keine eigentlichen Künstler sind – da sie aber beide großen und entscheidenden Einfluss auf die nach Italien pilgernden Künstler gehabt haben, sind sie aus meiner Sicht absolut wichtig. Das sind Johann Joachim Winckelmann und Johann Wolfgang Goethe.
Um es schon hier zu sagen, beide – und genauso die sogenannten ‚klassizistischen Künstler‘ suchten in Italien eigentlich die griechische Antike – und da Griechenland unter türkischer Herrschaft und die Antike in Italien leichter erfahrbar war, fuhr man eben nach Italien, um der Antike dort nahe sein zu können. Das gilt vor allem für Winckelmann – bei Goethe muss man das sicher etwas weiter fassen, aber auch er suchte zunächst vor allem die Antike.
Daher komme ich nun erst einmal zu Winckelmann. Er ist 1717 in Stendal geboren, hatte eine sehr entbehrungsreiche Kindheit und Jugend, sich dann aber mit großem Fleiß hochgearbeitet. Mit seinen Schriften hat er das Verständnis für die klassische Antike nachhaltig geprägt. 1755 zog er ganz nach Italien, 1768 ist er in Triest ermordet worden.
Das Bild auf der linken Seite ist 1755 – also kurz nach seiner Ankunft in Rom – von Anton Raphael Mengs gemalt worden. Mengs ist der klassizistische Künstler überhaupt, ich werde im nächsten Brief auf ihn noch genauer eingehen.
Man sieht Winckelmann im Dreiviertelprofil, er schaut den Maler – und damit auch den Betrachter (also uns) ernst und nachdenklich an. In seiner rechten Hand hält er ein Buch – auf dem Umschlag ist kein Titel erkennbar. Sicher ist er hier als der ‚Denker‘ dargestellt worden. Auch andere Portraits von ihm zeigen die gleiche Nachdenklichkeit.
Für Winckelmann war es die höchste Aufgabe der Kunst, die Schönheit darzustellen. Hierfür fand er die Formel „edle Einfalt und stille Größe“, welche er dem Verspielten und Überladenen des Barock und Rokoko entgegenstellte.
Er verstand die »schöne Kunst« ganzheitlich als musterhaften Ausdruck eines humanen Menschenbildes. In der Antike hätten sich Natur und Kultur im Einklang befunden; das Altertum verkörpere daher das Ideal eines menschenwürdigen Lebens. Man kann daran sehen, dass er die Antike nicht nur als ein künstlerisches Ideal ansah – für ihn gehörte das ganze Leben dazu. Ich muss gestehen, dass ich den sehr auf den Ideen Winckelmanns gegründeten Klassizismus lange nicht so verstanden habe – ich hielt ihn für eine eher ‚akademische‘ Kunst im schlechte Sinne – dass die Kunst als Ausdruck eines menschenwürdigen Lebens verstanden werden sollte, war mir nicht klar gewesen.
Über den ‚Torso von Belvedere‘ (heute in den Vatikanischen Museen) hat er u.a. geschrieben:
„Der erste Anblick wird dir vielleicht nichts als einen verunstalteten Stein entdecken; vermagst du aber in die Geheimnisse der Kunst einzudringen, so wirst du ein Wunder derselben erblicken, wenn du dieses Werk mit einem ruhigen Auge betrachtest.“
„Ich sehe in den mächtigen Umrissen dieses Leibes die unüberwundene Kraft des Besiegers der gewaltigen Riesen, die sich wider die Götter empörten und in den phlegräischen Feldern von ihm erlegt wurden, und zu gleicher Zeit stellen mir die sanften Züge dieser Umrisse, die das Gebäude des Leibes leicht gelenksam machen, die geschwinden Wendungen desselben in dem Kampfe mit dem Achelous vor, der mit allen vielförmigen Verwandlungen seinen Händen nicht entgehen konnte.“
„In jedem Teile des Körpers offenbart sich, wie in einem Gemälde, der ganze Held in einer besonderen Tat, und man sieht, so wie die richtigen Absichten in dem vernünftigen Baue eines Palastes, hier den Gebrauch, zu welcher Tat ein jedes Teil gedient hat.“
Man sieht schon an diesen wenigen Zeilen, wie kraftvoll Winckelmann geschrieben und wie gut er beobachtet hat. Tatsächlich soll der Torso zwar nicht Herkules darstellen – aber das mindert nicht die Qualität dieser wunderbaren Beschreibung.
Der zweite Deutsche, der zwar selbst kein Künstler war (obwohl es von ihm eine Reihe von teilweise recht guten Zeichnungen gibt) dessen Kunsttheorie aber doch sehr die Künstler beeinflusst hat, war Johann Wolfgang (von) Goethe 1749 – 1832.
Goethe machte seine große Reise nach Italien zwischen 1786 und 1788, und er hatte die Schriften Winckelmanns dabei. Als Untertitel für seinen Reisebericht hat er ‚Auch ich in Arkadien‘ gewählt, und schon dieser Titel deutet darauf hin, was er sich in Italien erhofft und was er dort gesucht hat.
Italien war für ihn die Landschaft, die Generationen von Literaten vor ihm in der Welle der Idyllen– und Arkadienliteratur des 18. Jahrhunderts gesucht und herbeigeschrieben haben und die er nun in der Wirklichkeit gefunden zu haben glaubte.
‚Arkadien‘ – das ist an sich nur eine Landschaft auf dem Peloponnes. Schon der römische Dichter Vergil (70 v.Chr. – 19 n.Chr.) hatte die einfache Lebensart der Hirten dort gepriesen, in der Neuzeit wurde es das gelobte Land, in dem die Menschen einfach und gesund lebten. Damit wird eine Idylle beschrieben, die es nun überhaupt nicht mehr gab – und natürlich sicher nie gegeben hat.
Goethe hat mit diesem Begriff aber vermutlich etwas anderes gemeint, sein Interesse war die Antike, und die hoffte er in Italien wiederzufinden oder ihr zumindest nahe zu sein. Wie Winckelmann gesagt hatte, fand er nur in der Antike die Identität von Natur- und Kunstgesetz am vollkommensten verwirklicht. Das war sicher auch der Grund, warum er der Kunst des Mittelalters oder der Frührenaissance kein Interesse entgegengebracht hat.
Als er beispielweise auf seiner Hinreise durch Florenz kam, schrieb er: „Die Stadt hatte ich schnell durchschritten.“ Er wollte eben möglichst schnell nach Rom und sich dort der Antike hingeben. Die Kunst etwa der Frührenaissance, die uns und viele andere Kunstfreundinnen und –freunde so begeistert, hat er kaum wahrgenommen. Man kann daran gut sehen, wie wir alle durch die Zeit, in der wir leben in unseren Vorlieben und Interessen geprägt sind.
„Mehrfach vertrat er später die Ansicht, er habe erst in Rom Urteilsfähigkeit über Kunst im Allgemeinen und Antiken im Besonderen gefunden, da ihm vorher die Anschauung abgegangen sei.“
Die intensive Beschäftigung mit der Antike lässt sich in Goethes kunstphilosophischen Aussagen nachweisen.
„Malerei wird seither unter dem Aspekt ihrer immanenten Wahrheit betrachtet, ‚eine Nachahmung der Natur (…) die das Wirkliche gleich wie das Ideale in sich schließt.“
Also – die Abbildung etwa von Natur allein, das ist es nicht. Es muss in dem Bild deutlich werden, dass der Künstler das, was er abbildet, vollständig verstanden hat. Er muss gewissermaßen das Gesetz, das hinter den Erscheinungen steckt, erkannt haben, um es in dem Bild sichtbar werden zu lassen.
Für ihn und für die Theoretiker des Klassizismus gibt es also eine festgelegte Reihenfolge. Der Künstler muss
– Natur betrachten
– dabei Regeln erkennen
– zur Schönheit vollenden, was in ihrer natürlichen Erscheinung angelegt ist.
Viele Künstler haben genau das versucht – das ist also im Grunde das Entgegengesetzte, was von der Mitte des 19. Jahrhunderts an die Impressionisten gemacht haben. Diese wollte ja gerade nicht die Essenz etwa einer Landschaft wiedergeben sondern den flüchtigen Eindruck, wie er in einem ganz bestimmten Augenblick gegeben war.
Um das klassische Verständnis an einem Beispiel zu erläutern, folgt hier nun das vielleicht bekannteste und berühmteste Bild von Goethe. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751 – 1829) bei dem Goethe während seines Aufenthalts in Rom auch wohnte, hat es gemalt. Schon an diesem Bild wird das deutlich, was er und andere Künstler unter Kunst verstanden. Der folgende Text ist – wie so vieles, was ich hier verwende – von Wikipedia…. und man kann hier ruhig einmal würdigen, was Wiki für jeden von uns möglich macht.
Das Bild zeigt in mehr als Lebensgröße den Dichter im Viertelprofil, auf Gesteinsquadern ruhend, die sich anhand einer Vorzeichnung zu dem Gemälde als die Trümmer eines umgestürzten ägyptischen Obelisken identifizieren lassen. Sein Blick geht ernst und sinnend in die Ferne. Er trägt einen hellen mantelartigen Umhang, unter dem eine rote Jacke sichtbar wird, eine ockerfarbene Bundhose, hellblaue seidene Strümpfe und einen blaugrauen Schlapphut.
Der so genannte „Reisemantel“ ist als in Goethes Besitz befindlich belegt.[6] Die Darstellung der Figur weist eine Reihe anatomischer Mängel auf. So sind die Beine, vor allem das linke, unnatürlich lang. Goethe scheint zwei linke Füße zu besitzen bzw. zwei linke Schuhe zu tragen; dies resultiert möglicherweise daraus, dass damals zwischen rechten und linken Schuhen kein Unterschied gemacht wurde.[7] Der rechte Arm, auf den Goethe sich stützt, trägt nicht überzeugend das Gewicht des Oberkörpers; dazu müsste die rechte Schulter höher sitzen.
Hinter Goethes Sitzplatz ist das efeuumrankte Fragment eines griechischen Marmorreliefs sichtbar, auf dem die Begegnung zwischen Iphigenie und ihrem Bruder Orest sowie Pylades auf Tauris dargestellt ist; rechts daneben befindet sich ein römisches Kompositkapitell. Links sieht man eine kleine Eiche, auf dem Boden vorn einige wenige Pflanzen, wovon zwei als Frauenmantel und Spitzwegerich identifiziert werden können.
Das Bild trägt zwar den Titel: Goethe in der Campagna – aber auch die hier dargestellte Landschaft ist eine ‚ideale‘ Landschaft. Tischbein stellte sie aus unterschiedlichen Elementen dar. Da gibt es einen römischen Aquädukt, dann das Grabmal der Cecilia Metella – das steht aber an sich an ganz anderer Stelle. Es stellt also keine reale Situation aus Goethes Leben dar. Tischbein hat sich selbst dazu folgendermaßen geäußert:
Er wolle den Dichter darstellen, wie er „[…] über das Schicksal der menschlichen Werke nachdenket“ (s.o.). Gemeint ist damit deren Vergänglichkeit; so formulierte Ludwig Strack, ein Vetter Tischbeins, 1787: „[…]der schauervolle Gedanke der Vergänglichkeit scheinet auf seinem Gesichte zu schweben.“[16] Goethe ruht auf den Überresten der vergangenen antiken Welt. Deren Epochen sind von links nach rechts in der Reihenfolge ihres Auftretens aufgerufen: Der Obelisk repräsentiert das alte Ägypten, Griechenland ist durch das Relief versinnbildlicht (dessen Iphigenie-Darstellung zudem auf das Theaterstück Iphigenie auf Tauris anspielt, an dem der Dichter zu dieser Zeit arbeitete), und das römische Kapitell markiert den Abschluss der antiken Kunstentwicklung.
Zugleich gibt Tischbein mit dem Gemälde eine idealisierend-überhöhende Darstellung Goethes, der hier nicht nur als Dichter, sondern als Universalgelehrter erscheint. Seine Monumentalität wird unterstrichen durch die Überlebensgröße und die leichte Untersicht. Der große Hut gleicht einem Heiligenschein; die um den Hut herum aufbrechenden Wolken verstärken diese Wirkung und verklären den Dichter zur Lichtgestalt. Seine Einsamkeit hebt ihn über die Menge der Menschen empor.
Das Bild weist also weit über sich hinaus, es zeigt nicht einen vergänglichen Moment im Leben des Dichters. Das ist das, was man unter ‚Klassik‘ verstehen kann. Und um solch eine Malerei leisten zu können, mussten die Künstler nach Italien gehen, denn nur dort war man im Angesicht der Antike und konnte den großen Gedanken, die die antiken Denker und Künstler gehabt hatten, nahe kommen. Auch die Landschaft spielt natürlich eine wichtige Rolle in all diesen Bildern – nur in einer südlich-mediterranen Landschaft kann die Idee des ‚Klassischen‘ aufkommen. Und man kann an diesem Bild auch gut erkennen, wie Tischbein das, was ich vorhin über Vorstellung von Kunst geschrieben habe, in diesem Bild verwirklicht hat.
Er hat die ‚Natur betrachtet‘ – sowohl bei der Landschaft als auch bei Goethe. Er hat dabei ‚Regeln erkannt‘…. und er hat schließlich ‚zur Schönheit vollendet, was in ihrer natürlichen Erscheinung angelegt‘ war.
So hat Tischbein und so haben dann auch die anderen Künstler, die durch Winckelmann und Goethes Vorstellungen von Kunst beeinflusst waren, ihre Werke geschaffen. Das Land ‚Italien‘ war für die Künstler gewissermaßen nur Hintergrund einer idealisierten Darstellung klassischer Ideen. Die ‚Wirklichkeit‘, das tatsächliche Leben vor Ort waren nicht gegenstandswürdig. Auch die Kunst etwa des Mittelalters oder der Frührenaissance war nicht Gegenstand des Interesses. Man schaute weit in die Vergangenheit zurück, um mit den eigenen Arbeiten das Bild einer idealen Welt zu schaffen.
Im nächsten Brief Ende Oktober stelle ich dann zwei klassizistische Künstler etwas genauer vor.
Bis dahin eine gute Zeit
Rainer Grimm